von Dr. Christoph von Laufenberg

Das US-Recht unterwirft sich bekanntermaßen nur selten anderen Rechtsordnungen. Umso bemerkenswerter ist die im Juni veröffentliche Aktualisierung des Leitfadens des US-Justizministeriums (DOJ) zur Bewertung von Compliance-Programmen („Evaluation of Corporate Compliance Programs“): Diese enthält eine Öffnungsklausel, die den Eintritt fremder Rechtsordnungen in das US-Recht ermöglicht. Mittelbar sind damit nationale Vorgaben etwa des Strafprozessrechts, des Arbeitsrechts und des Datenschutzrechts von US-Strafverfolgungsbehörden zu berücksichtigen. Die Überarbeitung setzt neue Schwerpunkte, ansonsten bleibt der Leitfaden seiner bisherigen Linie treu.

I.                   Hintergrund

Der seit 2017 bestehende und im April 2019 überarbeitete Leitfaden richtet sich als praktische Arbeitserleichterung an US-Staatsanwälte. Zusammengefasst werden die Vorgaben zu Compliance Programmen aus dem Justice Manual und den United States Sentencing Guidelines. Der Leitfaden soll bei der Entscheidung über eine Anklageerhebung und der Sanktionsbemessung helfen sowie gleichzeitig eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen.

Der Leitfaden stellt darüber hinaus eine „best practice“ für deutsche Unternehmen und den deutschen Gesetzgeber dar. Die Bedeutung eines effektiven Compliance Programms nimmt stetig zu – ohne dass der Gesetzgeber konkrete Vorgaben zu dessen Ausgestaltung macht. Eine Orientierung am Leitfaden drängt sich damit geradezu auf.

II.                Bewertungskriterien für Compliance Programme

Der Leitfaden beinhaltet Prüffragen und -kriterien, welche die Bewertung von Compliance Programmen ermöglichen sollen. Die wesentlichen Themen werden als Leitfragen vorangestellt:

  1. Ist das Compliance Programm gut konzipiert?
  2. Wird das Compliance Programm ernsthaft und mit guten Absichten angewandt? Besitzt das Programm also ausreichende Ressourcen und kann es effektiv funktionieren?
  3. Funktioniert das Compliance Programm auch tatsächlich?

III.            Neue Schwerpunkte

Die nun erfolgte Aktualisierung des Leitfadens bleibt den ursprünglichen Bewertungskriterien treu, setzt aber neue Schwerpunkte. In Zukunft werden personelle und finanzielle Ressourcen von Compliance Programmen stärker gewichtet. Zudem wird die Nutzung datenbasierter Risikoanalysen aufgewertet. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Faktor Zeit: Der für ein Compliance Programm betriebene zeitliche Aufwand sowie die Reaktionsgeschwindigkeit nach Verstößen werden künftig höher bewertet.

IV.             Rücksichtnahme auf fremde Rechtsordnungen

Erstmals will das DOJ Vorgaben ausländischer Rechtsordnungen bei der Bewertung von Compliance Programmen berücksichtigen. Obgleich dies lediglich in einer Fußnote ausgeführt wird – der Wortlaut lässt klar erkennen, dass das lokale regulatorische Umfeld eines Unternehmens sogar wichtiger sein kann, als die übrigen Bewertungskriterien („In any particular case, the topics and questions set forth below may not all be relevant, and others may be more salient (…)”).

Für Unternehmen hat diese Öffnungsklausel Auswirkungen auf die abstrakte Ausgestaltung eines Compliance Programms sowie das Ergreifen konkreter Maßnahmen. Ein Beispiel sind mögliche Disziplinarmaßnahmen: Verstöße gegen interne Compliance-Vorgaben können in den USA regelmäßig mit Kündigungen geahndet werden („hire and fire“). Nach deutschem Arbeitsrecht jedoch stellen sie nicht automatisch einen Kündigungsgrund dar – häufig wird allenfalls eine Abmahnung gerechtfertigt sein. Wird nun auf die Entlassung eines Mitarbeiters verzichtet, obwohl dies nach US-Recht möglich wäre, sieht die Öffnungsklausel die Bewertung der (national) arbeitsrechtlich zulässigen Abmahnung gleichwohl als effektive Disziplinarmaßnahme an.

V.                Umsetzung der neuen Schwerpunkte

Unternehmen können die neuen Bewertungskriterien für den Aufbau und die Verbesserung ihrer eigenen Compliance Struktur nutzen. Unternehmen sollten jede Entscheidung, die die Ressourcen des Compliance Programms betrifft, sowie deren Begründung dokumentieren. Insbesondere die datenbasierte Auswertung dürfte in Zukunft zum einen ins Blickfeld der Strafverfolger rücken – zum anderen können Unternehmen sie als starke Verteidigungslinie nutzten. Auch dadurch wird eine spätere Verteidigung maßgeblich erleichtert. Die datenbasierte Analyse kann etwa durch die Nutzung eingerichteter Meldekanäle, die Auswertung des Zugriffs auf Verhaltensrichtlinien und eine Evaluation von Compliance Schulungen erfolgen. Last but not least darf nicht vergessen werden, dass Compliance Inhalte einfach zugänglich sein, verständlich vermittelt und an den jeweiligen Adressatenkreis angepasst werden müssen.

VI.             Fazit

Die Aktualisierung des Leitfadens ändert wenig an den grundlegenden Säulen von Compliance Programmen, setzt jedoch neue Schwerpunkte. Sie sollte deshalb zum Anlass genommen werden, Compliance Programme kritisch zu überprüfen. Da in Deutschland aktuell noch keine konkreten gesetzlichen Vorgaben bestehen, ist der Leitfaden zudem eine gute Orientierungshilfe für Unternehmen und den Gesetzgeber.

Neu ist die Öffnungsklausel, die den Eintritt fremder Rechtsordnungen in das US-Recht ermöglicht. Ob und wie stark sie zur Geltung kommt, wird sich allerdings erst in der Anwendungspraxis des Leitfadens durch die US-Strafverfolgungsbehörden zeigen.

Dieser Beitrag knüpft an folgende Beiträge aus der White Collar Practice Group an: